Praxis im Jura-Studium: Studierende klagen, Gericht urteilt
17.04.2025
Mit ihrer Popularklage gegen das reformierte Polizeiaufgabengesetz haben Studierende einer universitätsübergreifenden „Law Clinic“ einen Teilerfolg vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof erreicht.
Im Wintersemester 2017/18 führte Dr. Martin Heidebach, akademischer Oberrat am Institut für Politik und Öffentliches Recht an der Juristischen Fakultät der LMU, gemeinsam mit einem Kollegen und einer Kollegin der Universitäten Würzburg und Erlangen eine „Law Clinic“ durch: Studierende erarbeiteten in dem Seminar eine Popularklage gegen die Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) aus dem Jahr 2017. Dieses neue Seminarformat erhielt im Jahr 2018 den LMU-Lehrinnovationspreis.
Nun hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof über die Klage entschieden und festgestellt: Das Gesetz ist zwar verfassungskonform, aber nur in bestimmten, engen Auslegungen.
Das Seminar solllte den Studierenden am konkreten Fall zeigen, dass wir in einem Rechtsstaat auch gegen Gesetze selbst juristisch vorgehen können.
Martin Heidebach, akademischer Oberrat am Institut für Politik und Öffentliches Recht an der Juristischen Fakultät der LMU
Praxisorientiertes Seminar mit Folgen
In Ihrer mit dem Lehrinnovationspreis ausgezeichneten „Law Clinic“ haben Studierende eine Popularklage gegen die Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes ausgearbeitet. Wie kam es dazu?
Martin Heidebach: 2017 gab es in Bayern eine große Reform des Gesetzes, das regelt, welche Rechte die Polizei hat. Gemeinsam mit meiner Kollegin Isabel Feichtner aus Würzburg und Markus Krajewski aus Erlangen entstand die Idee, darüber mit Studierenden im Rahmen einer Law Clinic zu diskutieren und zu prüfen, ob dieses Gesetz so mit der Bayerischen Verfassung vereinbar ist. Es war ein praxisorientiertes Seminar, in dem sich die Studierenden mit dem rechtsstaatlichen Polizeirecht auseinandersetzen konnten. In einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft ist die Polizei ein wichtiger Faktor. Was sie darf und was nicht, berührt auch die Frage, wie eine Gesellschaft sich selbst versteht.
Zugleich sollte das Seminar den Studierenden am konkreten Fall zeigen, dass wir in einem Rechtsstaat auch gegen Gesetze selbst juristisch vorgehen können. Genau dafür gibt es das Instrument der Popularklage: Prinzipiell kann in Bayern jeder gegen ein Gesetz, das er für unvereinbar mit den Grundrechten hält, klagen. Die Studierenden haben das PAG zunächst einmal in der Gruppe geprüft. Sie haben dann einstimmig entschieden, dass sie es in dieser Form nicht für verfassungskonform halten und eine Klage formulieren wollen.
Das Polizeirecht ist ein spannendes Feld: Die Polizei ist dazu da, Rechtsgüter zu schützen – wie beispielsweise Leben, Besitz, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit. Gleichzeitig muss sie, wenn sie diese Rechtsgüter schützen will, häufig in Grundrechte eingreifen.
Martin Heidebach
Klage gegen den Begriff der „drohenden Gefahr“
Was genau haben die Studierenden in ihrer Klage beanstandet?
Das Polizeirecht ist ein spannendes Feld: Die Polizei ist dazu da, Rechtsgüter zu schützen – wie beispielsweise Leben, Besitz, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit. Gleichzeitig muss sie, wenn sie diese Rechtsgüter schützen will, häufig in Grundrechte eingreifen, indem sie zum Beispiel Platzverweise erteilt, Menschen festnimmt oder Wohnungen durchsucht. Sie darf diese sogenannten Zwangsmaßnahmen anwenden, um Gefahren abzuwehren oder Straftaten zu verfolgen.
Mit der Reform des PAG wurde nun der Begriff der „drohenden Gefahr“ eingeführt. Damit wird es der Polizei ermöglicht, schon bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden eintritt, präventiv tätig zu werden, also ohne dass – wie bisher – eine konkrete Gefahr vorliegen muss. Damit ging auch eine Erweiterung der polizeilichen Befugnisse einher, von der Überwachung von Kommunikation bis hin zu einem deutlich längeren Präventivgewahrsam. Damit wurde die Eingriffsschwelle abgesenkt, wann und wie die Polizei in Grundrechte eingreifen darf. Gegen diesen Begriff der „drohenden Gefahr“ hat sich die Klage gewendet.
Dass unsere Klage zugelassen wurde, ist für die Teilnehmenden des Seminars natürlich ein sehr schöner Erfolg.
Martin Heidebach
Debüt als Anwältin vor dem Bayerischen Verfassungsgericht
Die Klage aus der Law Clinic war nicht die einzige Popularklage gegen das Gesetz, aber die einzige, über die der Bayerische Verfassungsgerichtshof am Ende inhaltlich entschieden hat.
Die anderen wurden wohl verworfen, weil sie nicht stichhaltig formuliert oder gut genug begründet waren. Dass unsere Klage zugelassen wurde, ist für die Teilnehmenden des Seminars natürlich ein sehr schöner Erfolg. Sie haben diesen Schriftsatz wirklich selbstständig ausgearbeitet, wir als Leitung haben kaum eingegriffen. Es war für die Studierenden toll zu sehen, dass sie auch mit ihrem damaligen Wissen schon etwas bewegen und bewirken konnten.
Dr. Martin Heidebach
Von der Einreichung der Klage bis zur Entscheidung darüber sind mehr als sechs Jahre vergangen. Wie waren die Studierenden aus dem Seminar in den weiteren Prozess eingebunden?
Nach etwa sechs Monaten hat die Bayerische Staatsregierung mit einem etwa 100-seitigen Schriftsatz auf unsere Klage geantwortet, und wir haben eine Replik eingereicht. 2018 und 2021 gab es nochmals Änderungen an der Gesetzesnovelle. Da haben wir dann jeweils noch etwas dazu geschrieben – allerdings waren die Studierenden des Seminars natürlich sukzessive weniger beteiligt; inzwischen haben sie alle ihr Studium abgeschlossen. Wir hatten durchgängig eine WhatsApp-Gruppe, in der bis zum Schluss alle Teilnehmenden verbunden waren und sich in unterschiedlichem Grad zu Wort gemeldet haben.
In der mündlichen Verhandlung im März sind dann tatsächlich zwei Absolventinnen der Law Clinic zu Wort gekommen und haben unseren Standpunkt dargelegt. Sie haben ihre Sache wirklich gut gemacht. Für die ehemalige Studentin, die das Letzte Wort gesprochen hat, war es ihr Debüt als Anwältin – da gleich vor dem Bayerischen Verfassungsgericht zu stehen, war natürlich etwas Besonderes.
Wie bewerten Sie selbst die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs?
Es ist ein Teilerfolg. Tatsächlich gibt uns der Verfassungsgerichtshof in einem entscheidenden Punkt recht, indem er sagt, dass das Gesetz so, wie es formuliert war, zu weitgehend gewesen ist. Insgesamt wurde die Popularklage – und die drei Meinungsverschiedenheiten, die mit ihr verhandelt wurden – jedoch weitgehend zurückgewiesen. Der entsprechende Artikel 11a wird nicht aufgehoben, aber er wird mit konkreten Auslegungshinweisen versehen.
Interessant ist: In der Kostenentscheidung am Ende des Urteils wird festgestellt, dass wir, wenn uns Kosten entstanden wären, diese zur Hälfte erstattet bekommen würden, da wir mit unserer Klage zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm beigetragen haben. Allerdings hat das Gericht auch nur über die Generalklausel geurteilt und noch nicht über die einzelnen Befugnistatbestände, die in dem Gesetz geregelt sind.
Juristisch ist in der Sache also noch nicht zu Ende entschieden?
Tatsächlich wird es wegen Klagen von anderer Seite weitere Verfahren geben, auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Wir sind derzeit am Überlegen, ob wir in diesem Zusammenhang das Lehrformat der „Law Clinic“ noch einmal aufleben lassen wollen, um mit einer neuen Generation von Studierenden neue Argumente zu diskutieren und vielleicht die alte Klage noch einmal zu verbessern.
Es bleibt interessant und komplex. Denn einerseits ist es natürlich im öffentlichen Interesse, dass die Polizei in der Lage ist, beispielsweise terroristische Anschläge zu verhindern. Andererseits sehen wir gerade in der heutigen Zeit, in der eine bisher für selbstverständlich gehaltene freiheitlich-demokratische Grundordnung unter Druck gerät, wie wichtig der Schutz von Bürgerrechten ist. Ob die Gesetze den richtigen Rahmen für die Verhältnismäßigkeit zwischen diesen beiden Ansprüchen schaffen, bleibt ein spannendes Thema, nicht nur für ein juristisches Seminar.